Geschichten aus dem Pflegeheim: Im Oster-Gottesdienst

Der Sonntagsdienst besteht heute aus der Begleitung der HeimbewohnerInnen zum evangelischen Gottesdienst in die auf demselben Gelände gelegenen Kirche. Zwölf Heiminsassen wollen dabei sein, die meisten in Rollstühlen, die Mehrheit dement.

Ich nehme zum ersten Mal an einer solchen religiösen Zeremonie teil und harre neugierig der Dinge, die da kommen.

Die Pfarrersfrau setzt sich zu Beginn der Veranstaltung eine rote Kappe auf, nimmt ein überdimensionales „Taschentuch“ zur Hand und beginnt, auf laienhaft-übertriebene schauspielernde Art die Maria zu geben, die am Grab Jesu trauern will, dann aber von einer Stimme beim Namen gerufen wird. Wie sich herausstellt, bzw. wie sie kindergartenpädagogisch erklärt, soll diese Stimme die von Jesus sein (kleine Kinder in der ersten Sitzreihe antworten ihr auf die Suggestivfrage, wessen Stimme das wohl sei, mit einem lauten „Jesus!!“).

Ihre Stimme ist etwas quieckend und schwer zu ertragen, das Mikrofon weiß sie nicht richtig zu handhaben und die Gemeinde versteht kaum ein Wort dieser Darbietung.

Meine dementen Begleiterinnen sitzen einigermaßen gebannt da; meine Sitznachbarin Frau S., die nur dabei ist, weil sie zu jedem Angebot mitkommt, schaut sich die Vorstellung an, schaut dann mich an und sagt nur: „Oh Gott.

Der Rest der Veranstaltung besteht im Singen von Liedern, deren erschreckend debile Texte („Je-Je-Jesus ist besser, Je-Je-Jesus ist größer, Je-Je-Jesus ist stärker“) zu den Schlager-artigen Softpop-Melodien passen wie der Becher zum Henkel; außerdem noch aus dem Hersagen von Glaubenssätzen, die wirken wie affirmative Kühlschranksprüche: man möchte gerne dran glauben, weil die ZWEIFEL so riesig sind, dass man sie immer wieder mit der Beschwörung einer weder selbst erfahrenen noch irgendwie greifbaren „Wahrheit“ vertreiben möchte.

Alles in allem bin ich erschüttert über das Niveau und frage mich, ob das hier vielleicht hat ein Kindergottesdienst ist. Insgesamt komme ich mir nämlich eher vor wie im Kindergarten als in einem Ort der Einkehr, der Besinnung oder gar der Meditation; von einer würde- und weihevollen Feier eines Ereignisses, dass sich immerhin um Leben, Tod und Wiedergeburt/Auferstehung dreht, ist nichts zu spüren.

Der religiöse Anlaß der Feier wird gnadenlos infantilisiert und seines spirituellen Gehaltes und damit seiner Botschaft beraubt – zugunsten einer krampfhaft auf modern getrimmten Show auf Vorschulniveau, die nur ein Vehikel darstellt für die Propagierung von Dogmen und Sprechblasen der Rechtgläubigkeit.

Zurück zu meinen dementen Schützlingen:

Am Ende des Gottesdienstes geht die Pfarrerin reihum, gibt jedem die Hand und sagt dabei „Frohe Ostern! Jesus ist wahrhaftig auferstanden!“

Als sie bei meiner Sitznachbarin angekommen ist, lässt sich diese bereitwillig die Hand schütteln, hört sich den Spruch an und schaut die Kirchenfrau neugierig an. Dann antwortet sie: „Gut! Kann ich mitkommen?