
„Besondere Zeitungsschau“ am ersten Weihnachtsfeiertag:
Frau
P., die das Plakat betrachtet, fragt mich: „Ist das was für alle oder ist das
sowas Intellektuelles?“
Frau P. ist dement, aber in ihren klareren Momenten merkt
man, dass sie eine gewisse Bildung genossen hat. Ich antworte ihr nach einem
kurzen Zögern: „Beides, Frau P.! Bei mir ist es immer für alle, aber auch die
Intellektuellen kommen auf ihre Kosten!“ Die Antwort stellt sie zufrieden, denn
sie entgegnet: „Na gut. Dann werd´ ich mir das mal anhören.“
Die Runde verläuft gut und die Anwesenden 14 oder 15
BewohnerInnen hören fast alle mit Aufmerksamkeit und Interesse zu. Viele tragen
mit eigene Wortmeldungen zum Thema (Ein Artikel namens „Wie wir 2037 leben
werden“) bei.
Nach Abschluss der Runde bringe ich die BewohnerInnen auf
ihre Wohnbereiche zurück. In WB 1 ruft mich Frau M. zu sich: „Komm mal her!“.
Frau M. ist die bibelfeste Katholikin, die vielfach am Tag das Vaterunser vor
sich hinmurmelt. Heute scheint sie etwas verloren und verwirrt, aber auch
geistig reger als sonst. Sie hatte heute Weihnachtsbesuch einiger Verwandter.
„Was mache ich eigentlich hier?“, fragt sie mich. „Wieso bin
ich hierher gebracht worden?“
Sie wirkt, als sei sie gerade aus einem Traum aufgewacht und müsse sich erst mal
orientieren. Sie sitzt angespannt und nach vorne gebeugt in ihrem
Rollstuhl Ich schaue sie mir eine kurze Weile an, versuche, ihre Gefühlslage zu
erfassen und erkläre ihr, dass sie im Heim ist: „Frau M., sie sind hier, weil
Ihnen hier geholfen wird mit den Dingen, die Sie alleine nicht mehr hinkriegen.
Außerdem sind sie hier nicht alleine…“
Sie schaut mich aufmerksam und mit großen Augen an. Die
Erklärung sinkt in sie ein. Ich hake nach: „Können Sie sich noch erinnern, wie
Sie zuletzt in Ihrer eigene Wohnung
waren?“
Frau M. denkt nach. „Hm…
das ist lange her…“ Sie hat erkennbar keinen Zugang zu den
Erinnerungsdatenbanken in ihrem Gedächtnis. Ich sage ihr: „Sie sitzen ja im
Rollstuhl und schon dadurch ist es schwierig, in der eigenen Wohnung
zurechtzukommen…“
Das leuchtet ihr scheinbar ein; über ihr Gesicht huscht ein Ausdruck von
Erkenntnis und gleichzeitiger Entspannung und sie lehnt sich entspannt zurück.
Nach ein paar Sekunden weiteren Nachdenkens schaut sie mich an und sagt: „Danke!“