Geschichten die das Leben schrieb: Alarm im Wohnzimmer

Zurückgekehrt von der letzten Runde mit dem Hund entledigen die Frau und ich uns unserer mehrstufigen Schichten winterlicher Bekleidung, versorgen den Hund und begeben uns ins geräumige Wohnzimmer, um verschiedenen Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen. Diese bestehen, in meinem Fall, aus Musik hören, Zeichnen und mich im Internet amüsieren, im Falle der Liebsten in der Einnahme einer zentralen Sofa-Position, diverse Fernbedienungen zur Hand, im endlosen Bemühen, die Mediatheken leerzugucken.

Diesmal scheint ihre Auswahl bereits auf eine Sendung oder Übertragung gefallen zu sein. „Ich guck dann mal schön meine Sendung weiter!“, verkündet sie, auch um mir klar zu signalisieren, dass der Platz vor dem monumentalen Bildschirm auf jeden Fall vergeben ist.

Das ficht mich nicht an, da ich sowieso lieber in meiner Ecke sitze und bei guter Musik zeichne und surfe. Bevor ich allerdings die Kopfhörer aufgesetzt habe und mir eine geeignete Playlist aufrufen kann, dringt der Ton der Fernsehsendung ungefiltert an mein Ohr.

Klangfarbe und Intonation ist die eines professionellen Spaßmachers, heutzutage „Comedian“ genannt, der seine einstudierten Witzchen mit möglichst wirksamer Lacheffektivität beim Publikum platzieren will. Das scheint ihm auch zu gelingen: „Was sollen wir nun aber machen, wenn Putin seine Raketen auf UNS schießt?“ fragt der Hofnarr scheinheilig, wie selbstverständlich unterstellend, dass das Publikum ohnehin soweit NATOisiert ist, dass es umstandslos „Putin“ erstens als Chiffre für alles Böse auf der Welt übersetzt und zweitens deswegen natürlich nicht weiter darüber aufgeklärt werden muss, dass dieser iwanesische Erzschurke, wenn ihm danach ist, einfach mal Deutschland bombardiert statt die Ukraine.

Die Antwort auf die selbstgestellte Frage des Possenreißers ist mir entfallen, aber sie geht in die Richtung „Unsere Truppe ist ein Memmenhaufen, der gar nicht richtig zu- bzw. zurückschlagen kann, Ausrüstung und Material kaputt oder fehlt! Alles Bruch bei der Truppe! Politik versagt, indem sie unserer Wehr nicht genügend Kriegsmaterial an die Hand gibt!“.

Haha, klatsch-klatsch, das Publikum versteht, was gemeint ist und applaudiert dem als Spaß verkleidetem Vorwurf an die Verantwortlichen, zu wenig Kriegsbereitschaft zu finanzieren. Was zwar überhaupt nicht stimmt – schließlich hat der deutsche Imperialismus gerade ein gigantisches Aufrüstungspaket von 100 Mrd. Euro geschnürt, um nach eigener Aussage die führende Militärmacht Europas zu werden – aber Hofnarren im Schließmuskel der Herrschenden erfüllen ihre humortherapeutische Zäpfchenfunktion gerne durch das mentale und verbale Einrennen offener Türen.

Jedenfalls wende ich mich der Frau zu und raunze sie einigermaßen bissig an „Was ist das denn für eine Scheisse? Der Russe will uns mal wieder bombardieren und unsere Truppe ist nicht schlagkräftig genug oder was erzählt der Möchtergernwitzbold da? Mach das bitte aus oder stell es leise!“

Damit mache ich keine Pluspunkte bei ihr, im Gegenteil: “Spinnst du?! Ich will das gucken! Weißt du eigentlich, wie das nervt, wenn ich was gucke und du quatscht ständig dazwischen? Ich guck das jetzt und du hältst die Schnauze!“

Das sitzt, denn natürlich hat sie recht – ihre Programmwahl geht mich nichts an, zumal ich sowieso vorhatte, den Rest des Abends unter Kopfhörern zu verbringen. Ich werfe erst ihr einen (so hoffe ich) vernichtenden Blick zu und schaue dann in Richtung Fernseher, wobei ich den „Comedian“ sowie die Einblendung „Nuhr 2022“ sehen muss.

Das Entsetzen verleiht mir wieder die Sprache: „Achduscheisse, Dieter Nuhr..“, bringe ich hervor. „Dann wundert mich gar nichts mehr. Das Humorzäpfchen im Rektum der Herrschenden! Aber wenn du demnächst dann Rosamunde Pilcher guckst, warne mich bitte vorher, das ist nämlich die nächste Stufe…“

Meine Liebste bleibt ungerührt und ignoriert mich erstmal. Inzwischen habe ich mir Kopfhörer übergestreift und verdränge den Nuhr-Müll mit lauter Rockmusik. Nach einer Weile erhebt sich die Gattin – die Sendung scheint vorbei zu sein – und verschwindet in der Küche. Nach kurzer Zeit erscheint sie mit zwei Gläsern Wein, gibt mir einen Kuss und flötet: „War doch gar nicht so schlimm, oder?“

Ich bin versöhnt und beschließe, nie wieder ihre Fernsehgewohnheiten und Programmentscheidungen zu bekritteln.