Die vergangenen anderthalb Tage verbrachte ich auf der Fachtagung Kunst- und Kulturgeragogik in Münster und konnte dort, neben allerlei fachlichen Diskussionen und Workshops zum Thema „Kooperativ! Qualitäten von multiprofessioneller Zusammenarbeit in der Kunst- und Kulturgeragogik“ Zeuge von einem Phänomen werden, das allgemein als Wokismus bezeichnet wird.
Die Referenten und Teilnehmer, zu etwa 80% Frauen; sprachen allesamt in jener merkwürdig gespreizten und artifiziellen Gendersprache, die Kunstpausen zwischen Wortstamm und -Endung macht, wenn der Plural beide Geschlechter „inkludieren“ sollte. Viele sprachen aber so schnell (bzw. verschluckten die Kunstpause), dass man nur die weibliche Endung raushörte.
Die eigenartigste Begebenheit war für mich die Begegnung mit einem sehr dicken Mann mit schütteren Haaren und Bartschatten, der von den anderen stürmisch begrüßt und umarmt wurde und sich mir als „Roswitha“ vorstellte (Namen hab ich geändert, jedenfalls ein eindeutiger Frauenname).
„Wieso nennst du dich Roswitha?“ wollte ich von ihm wissen.
„Weil ich eine Frau bin!“ verkündete er stolz, und, um einem naiven Cis-Hetero wie mir die Sachlage zu verdeutlichen: „Ich bin eine Trans-Person!“
„Aha.“ war alles, was mir dazu einfiel, weil ich damit beschäftigt war, ein breites Grinsen zu unterdrücken – zu offensichtlich als Mann erkennbar war mein Gesprächspartner, der von den umstehenden Frauen massive Bestätigung erhielt („Also ich führe dich auch in all meinen Kontakten als ‚sie‘!“, sagte eine).
Ich wollte es nun genauer wissen: „Hast du dich behandeln oder umoperieren lassen, oder wie?“ fragte ich ihn, worauf ich eine ausführliche, detaillierte und ausschweifende Geschichte zu hören bekam, die zunächst sein spezifisches akutes Krankheitsbild zum Thema hatte, um anschließend abzuschweifen zu seiner Tätigkeit für die Kirche und deren großes Verständnis für Trans-Menschen. Kern des halben Romans, den er mir erzählte, war der Umstand, dass die hormonelle und operative Umwandlung derzeit nicht möglich wäre, weil er zunächst eine schwere Prostataerkrankung behandeln lassen müsse.
Selbst an dieser Stelle fiel weder ihm noch den mitfühlend-zustimmend zuhörenden und kopfnickenden Frauem um uns herum die Absurdität auf, dass jemand, der behauptet, eine Frau zu sein, an der Prostata erkrankt ist. Ich saß also vor diesem durchaus sympathischen und liebenswerten Kerl und hörte mir seine Geschichte an. Dabei fiel mir seine Redseligkeit auf, sein enormer Drang nach Sich-Erklären, Bestätigung – vielleicht aufgrund einer Furcht, verurteilt und ausgegrenzt zu werden.
Vor mir hatte ich einen den Eindruck nach herzlichen, gutmütigen Mann mit ausgeprägtem Redebedürfnis. Seine spürbarer Unsicherheit in Bezug auf die eigene sogenannte Identität, auf sein Selbstbild, manifestierte sich in der kontraindikatorischen, auffällig starken Betonung der selbstgewählten Identität als „Frau“. Das wirkte wie ein mentales Pfeifen im Wald: je lauter einer pfeift, umso mehr will er dasjenige fern halten, verdrängen, abblocken, vor dem er Angst hat bzw. mit dem er nicht zurechtkommt.
In „normalen“ Zeiten, so dachte ich mir, in einer besseren Welt, würden Menschen wie er wohl den Rat erhalten, sich in Therapie zu begeben um zu lernen, ihr biologisches Geschlecht zu akzeptieren statt zu versuchen, eine psychologische Identitätsstörung durch chemische und operative Maßnahmen zum Dauerzustand zu machen. Nicht so in einer Zeit, in der das Narrativ über die Realität gestellt wird. Eine Zeit, in der nicht die Wirklichkeit zählt, sondern die BESCHREIBUNG der Wirklichkeit – bis hin zu dem Irrwitz, dass, wenn die Realität von der Erzählung über sie abweicht, die Erzählung das Kriterium für Wahrheit sein soll.
Mein Gegenüber allerdings fühlte sich spürbar ermächtigt, SEINE Erzählung über sich selbst – „Ich bin eine Frau, und der Beweis dafür ist, dass ich eine sein will!“ – dadurch zu erhärten und als bestätigt anzusehen, dass Zeitgeist, offizielle Ideologie und sogar Gesetzgebung, außerdem (in diesem Fall) die unmittelbare Umgebung, alle seine Art der Realitätsverweigerung gutheißen und fördern – als das gute Recht des freien Individuums auf Selbstbestimmung.
Ich war jedenfalls mitten in ein wokes Wespennest geraten und enthielt mich in weiser Konfliktscheu weiterer Nachfragen. Ich verabschiedete mich höflich und überlegte, während ich die Treppenstufen zu meiner Unterkunft erklomm, wie gut es ist, dass wenigstens im amerikanischen Mutterland von LBGTQ+, Trans- und Genderideologie der Zug des Wokismus gestoppt und aufs Abstellgleis befördert wurde.