Das „famila“ ist das größte Einkaufszentrum im 5000-Einwohner-Ort Lütjenburg, einer gemütlichen Kleinstadt im Kreis Plön in der „Holsteinischen Schweiz“. Ich stehe mit dem Hund vor dem Haupteingang und warte auf die Frau, die dort die „Besser als gut!“-Einkaufsoptionen erkundet.
Ich werde auf einen alten Mann mit Rollator aufmerksam, der plötzlich neben mir auftaucht und den Abfalleimer nach Pfandflaschen durchsucht. Wobei – so alt ist er vermutlich gar nicht. Ich schätze ihn auf mein Alter oder jünger. Seine langen Haare lassen ihn wie einen alten Hippie aussehen, sein zahnloser Mund verrät ihn als Angehörigen der Klasse, die durch Lohnarbeit und Armut gezwungen ist, zahnersatzfrei durchs Restleben zu laufen. Oder eben am Rollator zu gehen.
Da ich noch einen ganzen Stoffbeutel mit Pfandflaschen im Auto habe, spreche ich ihn an und biete ihm diese an. Wir gehen zusammen zum Auto und kommen ins Gespräch. Er erzählt mir, dass er eine Rente von 920 Euro bezieht, von der 800 für ein Zimmer im Betreuten Wohnen draufgehen. 250 Euro muss er an Krankenkassenbeiträgen zahlen, so dass er für die Differenz von 130 Euro auf die sogenannte „Grundsicherung bei Hilfebedürftigkeit“ angewiesen ist.
Der Mann hat für den ganzen Rest seines Lebens keinen einzigen Cent für sich selbst übrig, für irgendwelche kleinen Wünsche oder Freuden – und sei es mal eine Flasche Bier oder einen Kaffee irgendwo. Dafür muss er in Papierkörben und Abfalleimern wühlen, um durch das Sammeln von Pfandflaschen ein Taschengeld zu ergattern, das ihm wenigstens zu ein paar minimalen Vergnügungen verhilft und ein bißchen Freude und Abwechslung in seinen Alltag bringt.
Dabei macht mein Gegenüber keineswegs einen depressiven oder frustrierten Eindruck. Er ist freundlich und sachlich, er spricht über seine Situation wie über das Wetter: ist halt so, kann man nichts machen. Er hat sich in sein Los gefügt, doch hinter seinen Worten und hinter seinen Augen ist die Traurigkeit und die Erschöpfung spürbar, die ein solches Leben unweigerlich mit sich bringt.
Ich halte nichts von sozialmoralischen Gegenüberstellungen von Ausgaben für Renten, Pflege, für Soziales allgemein und denen für Aufrüstung, Krieg, Steuergeschenken für Reiche und Konzerne usw. Es ist ja nicht so, dass ein grundsätzlich wohlmeinender Staat aufgrund der Dummheit oder des bösen Willens „der Politiker“ das ganze schöne Geld für Militär und deutsches Unternehmertum ausgibt statt für Kindergärten, Pflegeheime, Sozialwohnungen und Rentner.
Jetzt aber fallen mir die 100 Milliarden Euro ein, die die Ampelkoalition per Federstrich mal eben für Rüstung und Kriegsgerät bereitgestellt hat. Mir fällt das berechnende Geschachere um eine „Kindergrundsicherung“ ein, die von 12 auf 3,5, dann auf 2 Mrd. Euro zusammengestrichen wurde und die dem neoliberalen Arschgesicht, das hierzulande den Finanzminister gibt, Anlass war zu zynischen und rassistischen Bemerkungen über Arme, die erstmal ins Verdienen kommen sollten, bevor sie sich vom Staat alimentieren lassen.
Zum tausendsten Male frage ich ich mich, wieso und wie lange noch ein ganzes Volk sich die Behandlung bieten lassen will, die die besitzende Klasse und ihre politischen Handlanger ihr zugedacht haben: als immer weiter auszuwringende und zu verarmende Manövriermasse der Herrschenden, als Rohmaterial, das für die Reichtumsproduktion der Besitzenden geradezustehen hat.
Die Liebste kommt aus dem „famila“ zurück und ich muss meine Unterhaltung mit dem Rentnerkollegen abbrechen. Er freut sich jedenfalls über die ca. 4 oder 5 Euro in Form von Pfandflaschen in dem Stoffbeutel, den ich ihm aushändige und verabschiedet sich mit einem gut gelaunten „Moin!“