Geschichten aus dem Pflegeheim: Umzugsökonomie und Karnevalsalarm!

Noch sechs Tage bis „Altweiber“(so nennt man im Rheinland den Donnerstag vor dem Karnevalswochenende), und natürlich muß ein fundamental wichtiges Datum wie dieses in einem rheinischen Pflegeheim entsprechend gefeiert werden. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, die einschlägigen Jecken-Kapellen und Hupfdohlen sind einbestellt und das gesamte Team des Sozialen Dienstes, dem anzugehören ich das zweifelhafte Vergnügen habe, ist zu ernsthaftester und umfassender Frohsinnsvorbereitung abgestellt.

Die gesamte Einrichtung ist vor neun Monaten in ein niegelnagelneues Gebäude umgezogen ist und hat zu diesem Anlass beinahe alles, was im alten Haus lagerte, „aus Platzgründen“ entsorgt, u.a. kistenweise Faschingsutensilien, Dekomaterial usw. Das alte Haus, ein gemütliches Gebäude aus den 1960er Jahren, mit parkähnlichem Garten, gelegen in einer eingewachsenen gemischten Nachbarschaft bot viel Platz in Kellern und Abstellräumen.

Die supermoderne neue Einrichtung gleicht dem Sitz eines Versicherungskonzerns oder einem Tagungshotel. Alles sieht schick aus, aber der Architekt hat anscheinend eher die Effizienz einer kostengünstigen Altenaufbewahrungsstätte im Sinn gehabt, als dass er für die Bedürfnisse der Bewohner eines Pflegeheims geplant hätte. Jedenfalls gibt es in der neuen Einrichtung überhaupt keine Kellerräume – außer der Tiefgarage für die Fahrzeuge der Einrichtungsleitung – und kaum Stau- und Lagerraum.

Beim Umzug erging deshalb die Order an die Mitarbeiter, alles zu entsorgen bzw. stehen zu lassen, was nicht unbedingt benötigt wurde. Die Umzugskosten sollten um jeden Preis minimiert werden – was zu dem grotesken Spektakel führte, dass der Auftrag für den Umzug an eine private Klitsche erging, die dann den Umzug einer kompletten Pflegeeinrichtung mit achtzig Bewohnern mit ZWEI Mitarbeitern zu bewältigen hatte. Dies wiederum hatte zur Folge, dass der gesamte Umzug sich über mehr als die vereinbarten Tage hinzog und die Arbeit schließlich eingestellt wurde, da die Einrichtung nicht bereit war, den beiden Möbelpackern mehr als den vereinbarten Preis zu zahlen.

Ende vom Lied: Einrichtungs und-Bewohnermobiliar und -gegenstände blieben teilweise zurück und mussten mühsam in privaten Transporten ins neue Heim geschafft werden. Dass der eine oder andere Gegenstand bei dieser Art des Umzugs anschließend nicht mehr aufzufinden war, dürfte niemanden verwundern.

Zurück zu den Arbeitsmaterialien: Der Hinweis, dass viele der Materialien Bestandteil der täglichen oder saisonalen Aktivitäten von Sozialem Dienst und Pflege sind, wurde mit der großspurigen Antwort „Dann wird das eben neu angeschafft!“ bedacht. Schon bei den bisher im neuen Haus angefallenen jahreszeitlichen Festlichkeiten war bemerkbar, dass die Einrichtungsleitung sich an die eigene Direktive hält: alles was benötigt wurde, konnte umstandslos neu gekauft werden.

Erst recht beim Karneval! Der Einrichtungsleiter ist nämlich Kölner, weshalb dieses Ereignis für ihn einen Stellenwert hat, als fielen Ostern, Weihnachten, Geburtstag und Lottogewinn auf einen Tag. Wir erhalten also den Auftrag, für eine angemessene und einigermaßen üppige Dekoration auf den Wohnbereichen zu sorgen und für unsere Bewohner ein Minimum an Helau- und Täterä-Utensilien zur Verfügung zu stellen.

Helau, weil Neuss im Einzugsbereich des Düsseldorfer Karnevals (KARNEVAL, wohlgemerkt, keineswegs „Fasching“! – das sagen nur Süddeutsche) liegt und von daher das kölsche „Alaaf“ Ketzerei und Teufelsbeschwörung gleichkommt. Gerade hat die Düsseldorfer Karnevalsikone Jacques Tilly, der Gestalter der Motivwagen des Düsseldorfer Karnevals, einen Aufkleber zugunsten Wohnungsloser vorgestellt, auf dem „Ich bin so froh, dass ich kein Kölner bin!“ zu lesen ist.

Meine deutsch-russische Kollegin und ich fahren also kurzentschlossen zu „Deiters“, einem rund ums Jahr geöffneten Karnevals-Supermarkt (oder besser -Einkaufszentrum), das auf der Fläche von vier Fußballfeldern alles feilbietet, was das Jeckenherz begehrt. Um es kurz zu machen: wir lassen knapp 300 Euro dort und ziehen mit zwei gigantischen Papiertüten voller Masken, Hütchen, Clownsgesichtern, Federboas und all dem üblichen Karnevalszeug von dannen.

Vorher verbringen wir eine ganze Weile mit der Erforschung und Erprobung all der Verkleidungen und maskerademäßiger Witzigkeiten. Bei den Schnurrbärten, Perücken und Augenbrauen zeigt mir die Kollegin breit grinsend ein Hitlerbärtchen und sagt: „ Guck mal, das ist doch was für Herrn L.!“ (Herr L. ist ein etwa 90jähriger strammdeutscher Patriot, der auch heute noch gerne mal mit markigen Sprüchen aus dem tausendjährigen Reich zu vernehmen ist (daran erinnert er sich nämlich noch, während sich viele spätere Erinnerungen demenzbedingt aus seinem Gedächtnis verabschiedet haben).

Wir albern ein bißchen herum und ich halte eine spontane Kurzansprache als Reichskanzler mit Bärtchen: „Volksgenossen! Dörr Rosse moss schon wöderr in seine Schrranken gewöhsen werrden! Daförr brraucht onserre okraönische Heeresgroppe ONBEDÖNGT onsere hervorrrragöndön Leopard-Panzer!!“

Die Kollegin lacht und freut sich über die Vorstellung. „Weißt du, die Deutschen kapieren nicht, was das für Russland bedeutet, mit diesen Panzern. Und der Unterstützung der Ukraine. Putin hat’s doch gesagt auf der Pressekonferenz (sie meint die PK vom 02.02. zum Stalingrad-Gedenken), da sollten die mal zuhören…. Meine Schulkameraden von früher sind alle im Krieg! Alle! Also die Männer. Kein einziger ist zuhause, die kämpfen alle gegen die Nazis…“

Sie weiß, dass sie mit mir über dieses Thema sprechen kann; ansonsten hält sie sich absolut bedeckt und konsumiert auch keine Medien mehr, um sich nicht der NATO-Propaganda auszusetzen.

Wir fahren zurück in die Einrichtung, teilen die Beute auf die Wohnbereiche auf und begeben uns an die Arbeit. Vorher ermahnt sie mich noch, auch ja die Zeit, die wir mit dem Einkauf zugebracht haben, als Arbeitszeit aufzuschreiben: „Ich schreib mir ab 12:30 auf! Du hast mich abgeholt, also musst du ab 12:00 aufschreiben! Ich bekomme sowieso nicht viel raus, aber ich will das, was mir zusteht!“

Deiters Düsseldorf