Geschichten die das Leben schrieb: das Einfache ist das Revolutionäre

Je älter ich werde, umso mehr reduzieren sich meine Ideen über das Leben auf ein paar Essentials. Wo ich früher die Welt revolutionieren, die Himmel erstürmen und alle „Alten Gedanken“ herausfordern und abschaffen wollte, hin ich heute froh, ein Dach überm Kopf zu haben (und kein schlechtes!), in einer warmen Bude sitzen zu können und genug zu essen zu haben. (Dazu genieße ich dank einer modernen Erfindung namens Internet nahezu unbegrenzten Zugang zu sämtlichen Quellen kultureller und politischer Bildung, zu Unterhaltungsmedien und allen heutzutage via Internet angebotenen Dienstleistungen.)

All das hört sich nach Rückzug, nach Altersresignation oder nach erschlaffender geistiger Aktivität an. Mag sein. Ich sehe es anders: gerade die erwähnten Essentials, die Grundbedürfnisse eines menschlichen Wesens als Teil des Kollektivs, das „Gesellschaft“ genannt wird, sind ja keine Selbstverständlichkeiten. Müssten sie aber sein!

Ein Staat als Organisationsform des Kollektivs hätte dafür zu sorgen, dass ausnahmslos jeder, der es will, mit Obdach, Nahrung, Schutz vor Kälte und Hitze, mit Zugang zu Bildung, Kultur usw. versorgt ist.

Nun weiß aber jeder, dass ein kapitalistischer Staat genau das überhaupt nicht auf der Agenda hat. Im Gegenteil, seine ultimative ratio, seine conditio sine qua non ist der AUSSCHLUSS riesiger Massen von Leuten von den elementarsten Bedürfniserfüllungsmöglichkeiten. Die Scheidung der Gesellschaft in arm und reich, in Arbeit und Reichtum, in Besitzlose und Besitzende, ist das Treibmittel der gesellschaftlichen Reproduktion. Sie ist auch das Mittel, über das der Staat seine Ausgaben – nicht zuletzt diejenigen für sein herrschaftliches„Gewaltmonopol“ über die Gesellschaft – finanziert.

Und da schließt sich der Kreis zu meiner weltrevolutionären Himmelsstürmerei jüngerer Tage: die simplen Anforderungen, die für ein anständiges und überlebenswertes menschliches Dasein erfüllt sein müssen, werden im Kapitalismus niemals erfüllt. Für einige schon, klar. Für viele aber schon weniger und für Millionen gar nicht.

Darum finde ich die Forderung nach Brot, Obdach, Kultur und Frieden revolutionär. Um auch nur diese Forderungen durchzusetzen, um nur diese Grundbedürfnisse zu erfüllen, MUSS der bürgerliche Staat samt seinem Kapitalismus gestürzt werden. Wie das gehen soll, weiß ich auch nicht. Ich weiß nicht, wie der Imperialismus in seiner gegenwärtigen, völlig heruntergekommenen, gewalttätigen und absolut perversen zynischen Phase ertragen, geschweige denn gestürzt werden kann.

Hoffnungslosigkeit als Kampfposition? Warum nicht. Die eigene innere Balance durch Schönheit, Kunst und Literatur befördern ist eine Option. Drogen eine andere. In der Natur sein und Augen, Ohren und Herz offen zu halten. Letztlich scheint es mir auf gute Freunde, gute Gespräche und guten Wein hinauszulaufen.