Geschichten die das Leben schrieb: Die politisierte Gattin
Gelegentlich fragt mich meine dezidiert unpolitische und allen ideologischen Konzepten abholde Gattin nach den neuesten Entwicklungen auf dem Feld des grassierenden Wahnsinns, den wir „Politik“ zu nennen gewohnt sind. Sie erwartet dann eine äußerst kompakte, verdichtete Kurzfassung der wesentlichen Tendenzen und Entwicklungen, deren Vortrag zudem faktisch, nüchtern und wertungsfrei sein sollte – eine gute Übung für mich, mich zu einer knappen und sachlichen Bestandsaufnahme politischer Ereignisse zu zwingen, statt bei Adam und Eva anzufangen und bei Marx, Engels, Lenin und Stalin noch lange nicht aufzuhören.
Natürlich hat auch meine politikferne Liebste in ihrem bisher wohlgeordneten Dasein als Teil der akademischen Mittelschicht bemerkt, dass alles immer teurer wird, demnächst brutalstmögliche Preissteigerungen bei Energiekosten ins Haus stehen und dass das alles irgendwie mit dem Krieg in der Ukraine, vor allem aber mit DEM RUSSEN und ganz besonders dem Oberrussen, einem gewissen „PUTIN“, zu tun haben soll.
Heute setze ich sie also kurz ins Bild über die Meldungen aus der Ukraine, über beginnende Proteste in der ganzen BRD gegen die Regierungspolitik, und lese ihr die Passagen aus einem Auftritt der deutschen Außenministerin vor, in der diese sich der Ukraine und deren Krieg verpflichtet zeigt, egal was ihre deutschen Wähler dazu meinen.
Als kleine meinungsgefärbte Zugabe meinerseits erlaube ich mir den Nachsatz: „Ich glaube, die fühlen sich alle ein bißchen zu sicher. Die denken sich, wir sind 2021 gewählt worden, wir haben jetzt bis 2025 Zeit ohne dass uns jemand an den Karren fahren kann… ich hoffe nur, es kommt anders!“
An dieser Stelle lässt sich meine ideologie-, theorie- und politikabstinente Frau mit einem Statement vernehmen, das ich in dieser Weise noch nie von ihr vernommen habe
„Warte mal ab. Heute haben wir den 1. September. Ich geb‘ denen bis zum 1. November, dann sind die alle weg. Und wenn die dann alle zusammenprügeln wollen, die demonstrieren, dann viel Spaß. Wenn’s dann zu Demonstrationen kommt, da geh ich mit.“
Spricht‘s, und widmet sich wieder ihrer Urlaubslektüre, während ich aus dem begeisterten Staunen gar nicht mehr heraus komme. Das wird jedenfalls ein heißer Herbst.