Schon auf der morgendlichen Runde mit dem Hund sehe ich verkleidete Menschen auf den Straßen: Gruppen von Frauen, die in Ganzkörper-Hühnerkostümen in Vorfreude auf den heute fälligen Altweiberfrohsinn das gemeinsame Gackern üben; Jungmännerhorden in einfallsloser Alibi-Kostümierung, fest entschlossen, sich bereits am Morgen die Kante zu geben und akustisch dominierend durch raues, neandertalerhaftes Gröhlen.
Dazwischen lauter Figuren mit irgendwelchen Insignien ernsthaftester Spaßbereitschaft wie blauen oder regenbogenfarbigen Perücken, Gesichtsbemalung usw. Selbst die rumänische Inhaberin des Friseursalons an der Ecke erscheint heute in Prinzengarden-Uniform und irgendeine Zigarettenmarke macht Werbung mit dem Satz “Mutig: an Fasching in Köln ‘Helau!’ rufen” – kurzum: es ist “Altweiber”, wie der Faschingsprofi abkürzt, und ich bin in Düsseldorf. Es gibt also kein Entkommen.
Oder doch? Immerhin ist die eigene Wohnung faschingsfreie Zone.
Ich habe mich jedoch getäuscht: zurück von der Hunderunde empfängt mich die Gattin mit der Aufforderung, Radio anzumachen und der Frage, ob ich Berliner mitgebracht hättte. Auf meinen fragenden Blick hin erläutert sie mir die Sachlage: “Heut’ ist Karneval! Da muss man WDR2 oder Annette Düsseldorf (damit ist – lustig, lustig – der private Idiotensender Antenne Düsseldorf gemeint) hōren, weil die die Karnevalsmusik und die Reportagen von Altweiber bringen! Und man muss Berliner essen und Sekt trinken!”
Sie ist eben Düsseldorferin durch und durch, und hat somit das Karnevals-Gen per rheinländischer Sozialisation implantiert bekommen. Zur Arbeit ist sie gleich garnicht gegangen bzw. macht einen Home-Office-Tag. Aber selbst wenn sie zur Arbeit ginge, würde dort nicht gearbeitet, sondern mit Sekt und Berlinern bis Mittag gefrühstückt und danach bis Feierabend weiter gesoffen.
Ich beuge mich der häuslichen Gewalt und füge mich in mein Schicksal, während der lokale Radau-Sender Hardcore-Frohsinnsmusik dudelt.
Nachdem die Frau ihre Morgentoilette beendet hat, höre ich zu meiner Erleichterung “So, jetzt kannst du das Radio abdrehen…” und freue mich schon, aber der zweite Teil des Satzes ernüchtert mich gleich wieder: “… jetzt wird der Fernseher angemacht!”
Ich bringe gerade noch ein entnervtes Stöhnen zustande und kriege zur Antwort: “Kennst du das nicht? Du weisst wohl nicht, was man an Karneval macht!”
Berliner ess’ ich aber gerne.
