Geschichten aus dem Pflegeheim: Die Liebe zum Kommunismus zurückfahren

Experiment in der heutigen Zeitungsrunde: zusätzlich zur notorisch rechtslastigen NGZ (Neuss-Grevenbroicher Zeitung, ein erzreaktionäres schwarzes Blatt mit allerdings umfangreichem Lokal- und Sportteil) bringe ich einen Artikel aus der aktuellen “UZ” zum Vortrage.

Vorher weise ich darauf hin, dass es sich um eine sozialistische Wochenzeitung handelt, deren Inhalte ganz sicher als Gegenposition zu Blättern wie der NGZ zu werten sind. Ich lese einen Beitrag von Nina Hager aus dem Bereich “Positionen” vor, in dem es um die Grenzöffnung 1989 geht – ein Thema, das auch in der Einrichtung unvermeidlicherweise präsent war und im Rahmen der staatlichen Jubelorgien abgefeiert wurde.

Der Artikel selber ist eher harmlos, fast schon sozialdemokratisch anmutend, verweigert sich aber natürlich der geforderten DDR-Dämonisierung und lässt im Gegenteil den Wunsch nach dem Antifaschismus und der Friedenspolitik der DDR anklingen.

Dieser letzte Satz des Artikels (“.. ihre – der DDR – konsequente Friedenspolitik täten diesem Land – und nicht erst jetzt – mehr als Not.”) versetzt meine wackeren alten Antikommunisten allerdings stante pede in Rage.

“Also, das ist ja wohl das Letzte“ sch
naubt Herr T., seines Zeichens stolzer Ehemaliger der BRD-Bundeswehr. „Friedenspolitik? Dass ich nicht lache! Die sind doch 1968 in die Tschechoslowakei einmarschiert!”

Ich bin erstaunt, denn meiner Kenntnis nach war die NVA nicht an der Zerschlagung der tschechischen Konterrevolution beteiligt. Egal, da dies die letzte Meldung aus unserer heutigen Zeitungsschau ist, möchte ich die Runde versöhnlich beenden und verabschiede meine Truppe freundlich.

Auf dem Weg in seine Wohnbereich rollt Herr T. auf seinem Rollstuhl an mir vorbei, mustert mich kritisch von unten und bemerkt: “Also, mein Lieber, Ihre Liebe zum Kommunismus müssen Sie mal etwas zurückfahren!”

Ich muss lachen und antworte ihm “Das glaub´ich nicht, Herr T. Vor allem glaube ich, dass es nicht schaden kann, beide Seiten einer Geschichte zu kennen. Und was ihre Behauptung über die Beteiligung der NVA an den Ereignissen in der CSSR 1968 betrifft – das werde ich überprüfen..”

Eine kurze Google-Recherche erbringt dann das Ergebnis, dass, wie ich vermutete und zu wissen meinte, die NVA tatsächlich 1968 zwar in Alarmbereitschaft versetzt war, aber keine Soldaten im Nachbarland hatte. Den Ausdruck dieses Artikels aus der bestimmt nicht Kommunismus-verdächtigen “Zeit Online” (https://www.zeit.de/1994/34/allzeit-bereit) werde ich morgen mal Herrn T. überreichen.