Dritte Wohnbereichs-Weihnachtsfeier in dieser Woche. Der große Speisesaal ist festlich geschmückt und gefüllt mit Bewohnern, Angehörigen und Heim-Personal. Heute hält ein katholischer Pfarrer die Andacht und salbadert affektiert und auf Wirkung bedacht seine auswendig gelernt wirkenden frommen Sprechblasen daher.
“Gott ist Mensch geworden, das Wort ist Fleisch geworden, der Erlöser ist geboren” usw. Wenn es überhaupt einen vielleicht allegorischen, symbolischen oder subtilen Sinn hinter dem christlichen Wunder- und Märchenglauben geben sollte: dieser Kirchenvertreter hat ihn jedenfalls nicht erfaßt, so platt, dahergeleiert und leblos kommt seine Rede daher.
Zum Glück habe ich meine dementen und hochbetagten Schützlinge, die mich wieder mal aus einer Situation quälender Fremdscham befreien.
Ein paar Tische entfernt von mir sitzt die 103-jährige Frau H., der der Auftrieb ohnehin zu viel ist und die mitten in die salbungsvolle Andacht hinein immer wieder mit einem lauten “Schäbig!” zu vernehmen ist, abwechselnd mit Geräuschen, die keine Verbalisierungen sind sondern sich wie ein Knarzen oder Zischen anhören. Vermutlich ist ihr unbequem – sie hält alles was außerhalb ihres Zimmers stattfindet höchstens eine halbe Stunde aus – und hat irgendeine Beschwerde über ihre Sitzgelegenheit, die Lautstärke um sie herum oder das Essen. Mir egal, ich genieße die professionell maskierte betretene Miene des Gottesmannes und grinse mir einen.
Auch die gediegen demente Frau P. lässt mich nicht im Stich. Da ihre Hörgeräte nur nach dem Zufallsprinzip funktionieren, versteht sie sowieso nur Bruchteile des Gesprochenen, fingert an ihren Hörgeräten rum und redet in der extrahohen Lautstärke von schwerhörigen Leuten mit ihrer Tochter.
Leider ist letztere, wie die übrige umgebende Normalgesellschaft, beflissen bemüht, mit “Psst!” und Zeigefinger-vor-den-Mund-halten die Störer zum Schweigen zu bringen, so dass mein Unterhaltungserlebnis geschmälert (wenn auch nicht ganz unterbunden) wird.