Alt vs Jung: Break on through to the other side

„You know the day destroys the night
Night divides the day
Tried to run, tried to hide
Break on through to the other side
Break on through to the other side…“

The Doors, 1967

In der Oberstufe verfasste ich mal irgendeinen Aufsatz, der von der Deutschlehrerin mit „sehr gut“ bewertet wurde. Ich erinnere mich nicht an das Thema, sondern weiß nur noch, dass sie die gute Note mit einer bestimmten Passage in dem Text begründete. Dort ließ ich mich nämlich über den angeblichen Vorsprung an Erfahrung, Lebensklugheit und Verständnis aus, denen Ältere vor der Jugend zu haben behaupten.

Ich muss sechzehn oder siebzehn Jahre alt gewesen sein und schrieb sinngemäß: die sogenannten Erwachsenen sollten sich lieber nichts darauf einbilden, ein paar Jahre älter zu sein als junge Menschen. Ihre Erfahrungen sind nichts als eine Ansammlung von Ereignissen, die ihnen widerfahren sind und die sie in der Regel weder verstanden noch verarbeitet haben – außer durch ihre Anpassung an Verhältnisse, die sie ebenfalls nicht begreifen und in denen sie zurechtkommen müssen. Mein Fazit war in etwa, dass Lebenserfahrung ohne Einsicht in die Verhältnisse (wozu der eigene Geist gehört) nichts wert ist, ja sogar eher schädlich für ein Verständnis des Lebens, da man ohne diese Einsicht dieselben Fehler immer wieder zu begehen verdammt ist.

Ich erinnere mich an diesen Aufsatz wegen der unerwartet guten Benotung und der Erwähnung des besagten Gedankenganges durch die Lehrerin. Sie war eine der sympathischen kritischen Lehrkräfte, die in den 1970er Jahren noch an den Schulen anzutreffen waren, bis sie vom „Radikalenerlass“ der Brandt-Regierung aus den Bildungsinstitutionen hinausgesäubert wurden.

Heute, fast fünfzig Jahre später, würde ich meinem gymnasialen Selbst von damals an dieser Stelle immer noch recht geben. Die sogenannte Lebenserfahrung der Alten ist fast immer nichts weiter als die mentale Verhärtung von Coping-Methoden, mit denen ein Individuum sich das Zurechtkommen in der Konkurrenzgesellschaft zu rationalisieren versucht. Bestenfalls haben die Leute im Laufe der Jahre gelernt, ihre (falschen) Ansichten so eloquent, ruhig und nach außen hin sachlich vorzutragen, dass sie der Umgebung als ernsthafte und bedenkenswerte Debatttenbeiträge gelten.

Eines jedoch hat das Alter tatsächlich der Jugend voraus, auch wenn es schlicht auf der um Jahrzehnte längeren Zeitspanne beruht, die ältere Leute in und auf der Welt verbracht haben:
Man weiß irgendwann, dass sämtliche Zustände kommen und gehen. Auch die schlimmsten Erfahrungen, die tiefsten Abgründe, die dunkelsten Stunden kann man überstehen – sonst wäre man ja nicht (immer noch) hier. Umgekehrt kommen und gehen auch die glücklichsten Momente, die höchsten Ekstasen. In gnadenvollen Momenten erlebt man sogar die komplementäre Natur beider Ausprägungen, man sieht sozusagen die Medaille statt nur eine der Seiten.

Mehr Unterschiede gibt’s nicht zwischen Menschen verschieden Alters. Der gerade beschriebene Vorteil des Alters wird ausgeglichen durch die Frische und die ungebremste Energie, mit der junge Menschen sich einer Sache annehmen können. Man sagt, dass alle wichtigen wissenschaftlichen Durchbrüche und Erfindungen von Leuten in ihren Zwanzigern gemacht werden – ein Hinweis auf die deutlich größere Flexibilität und Agilität des Gehirns bis zum Alter von ca. dreißig Jahren.

Um die Erschaffung einer Gesellschaft, die ein anständiges Leben für alle ermöglicht (statt den Dienst der Mehrheit am Reichtum der Minderheit zu organisieren), müssen wir uns in jedem Lebensalter generationsübergreifend selbst bemühen.