Bäuerliche Bräuche im ländlichen Raum: das Kartoffelopfer

Woher kommt der Ausdruck „Der dümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln“? Aus der Probstei in Schleswig-Holstein! Hier, nicht weit vom Gestade der Ostsee, gedeihen nicht nur die Rinder und Schweine in der frischen, salzhaltigen Seeluft besonders gut, sondern auch die Kartoffeln in den weichen Lößböden, die noch aus der Kreidezeit mit Spurenelementen, Mineralien und Kalkeinlagerungen gesättigt sind.

Hier ist die Kartoffel nicht nur Nahrungsmittel, hier ist sie HAUPTNAHRUNGSMITTEL, Zentralgestirn jeder Mahlzeit, um das die übrigen Speisen rotieren. Sie ist erdiger, ehrlicher Freund, knolliger Kamerad, sie genießt beinahe religiöse Verehrung unter den wortkargen, wettergegerbten Eingeborenen dieses gesegneten Küstenstreifens im Norden.

Wie oft war Schmalhans Küchenmeister in der ärmlichen, reetgedeckten Kate des bäuerlichen holsteinischen Vierschröters! Wie oft war die alleinige Beilage zum Hering eine einzige Kartoffel, die sich die ganze Familie teilen musste! Aus dieser Zeit stammt der Brauch, die dickste Kartoffel eines Feldes als Opfergabe auf dem Acker zu belassen, um auf diese Weise dem lieben Gott – ja, seit der Christianisierung durch die Ritterheere des Schwedenkönigs Ansgar „dem Blonden“ von Gotland hatten die Holsteiner von ihrem heidnischen Schamanismus zum wahren Glauben gefunden – zu danken und um noch größere Kartoffeln im Folgejahr zu bitten.

Es waren Neider aus südlicheren Landen, vornehmlich Hessen, Bajuwaren und Sachsen, die angesichts der nordischen Riesenkartoffeln – eine heißbegehrte Ware auf den Märkten des ausgehenden Mittelalters – im späten 16. Jahrhundert die Legende vom „dummen Bauern“ aus dem Norden in die Welt setzen, dessen Kartoffeln nur aufgrund seiner Dummheit so groß geraten seien.

Die Schmährede dieser mißgünstigen Südlichter gelangte durch unglückliche Umstände in den allgemeinen Sprachgebrauch und weist heute noch auf reziproke Weise auf eine Errungenschaft hin, die im Lande des Nordmannes bis heute alljährlich am 25. August, dem „Kartoffeltag“, gefeiert wird. An diesem Tag, der allen Holsteiner Bauern und Fischern heilig ist, wird mit einem köhm-getränkten Umzug von Kate zum Feld und von dort zur Kneipe das „Kartoffelopfer“ dargebracht: die dickste Kartoffel jeder Ernte bleibt auf dem Felde.