Geschichten aus dem Pflegeheim: Ein bißchen Spaß muß sein

Frau H., Teilnehmerin der „Tagesgruppe Demenz“ (die coronabedingt jetzt schon seit fast einem halben Jahr nicht mehr stattfindet), hat ebenso wie die anderen Teilnehmer zu kämpfen mit dem Verlust ihrer gewohnten Tagesstruktur, der Gemeinschaft mit den anderen und dem ausgedünnten Angebot sozialer Betreuung. Selbst in den Phasen des kompletten Heim-„Lockdowns“ war es unmöglich, sie dazu zu verpflichten, ausschließlich in ihrem Zimmer zu bleiben.

Bei ihr und einigen anderen Bewohnern mit Demenz war klar, dass wir am besten damit fahren (und den Leuten am besten gerecht werden), wenn wir ihren Bewegungsdrang so wenig wie möglich einschränken. Erstens ist sie gar nicht in der Lage, den Grund der Einschränkungen zu verstehen und zweitens ist ein erzwungener Zimmerarrest unzulässig (“freiheitsentziehende Maßnahmen” müssen richterlich angeordnet werden). Der Schaden in Psyche und Lebensqualität der Bewohner übersteigt das potentielle Covid-19-Infektionsrisiko vermutlich bei weitem.

Seitdem jedenfalls sieht man Frau H. sowie ihre anderen dementen Kollegen des Wohnbereichs täglich die Gänge auf und ab schieben, meistens mit ihren Rollatoren, manchmal wackelnd und unsicheren Trittes einfach so. Sie halten es in ihren Zimmern einfach nicht aus. Inzwischen dürfen wieder kleine Gruppenangebote von maximal 4 festen Leuten stattfinden – was zur Folge hat, dass diejenigen, die an dem jeweiligen Vor- oder Nachmittag nicht “dran sind“, sehnsüchtigen Blickes vor den gläsernen Türen des Gruppenraumes stehen und nicht kapieren, warum sie da nicht rein dürfen.

Natürlich versuchen sie’s dann doch, und dann muss Ihnen erneut und vergeblich erklärt werden, dass das jetzt leider nicht möglich ist. Der meistgehörte Satz seit Monaten auf dem Wohnbereich ist „Frau X (Herr Y), gehen Sie bitte zurück in ihr Zimmer!“. Inzwischen dürfen die Leute zum Glück wieder das Zimmer verlassen, sofern sie eine Maske tragen – eine weitere Hürde besonders für Demente, die meistens nicht daran denken (können), sich so ein Ding vor Mund und Nase zu binden.

Frau H. jedenfalls, als Raucherin, braucht jetzt umso mehr Ihre Rauchpausen, um den ganzen Druck der ungewohnten und unangenehmen Situation loszuwerden. Heute begleite ich sie auf den Balkon, wo sie sich schwer seufzend in den Stuhl fallen lässt, sich die Zigarette anzünden lässt und dann zu mir sagt: „Ich bin so abgeledert, das kannst du gar nicht glauben! Mir ist so komisch, als ob ich nicht mehr leben würde. Ich weiß gar nicht mehr, was das alles soll…“

Sie zieht an ihrer Zigarette und fährt fort: „Aber dann…. (sie sieht mich mit einem schelmischen Lächeln an und fängt an zu singen):

Ein bißchen Spaß muss sein, dann ist die Welt voll Sonnenschein,
Und wenn wir beide uns gut verstehen,
dann kann es weitergehen!“

Ein weiterer, jetzt schon leichterer Seufzer und sie beendet ihre Raucherkontemplation mit der Bemerkung: „Wenn das der liebe Herrgott nicht hören kann, dann ist dem nicht zu helfen!“

https://youtu.be/4-DYhrD-N6M